Problemstellung

Die beispiellose Zunahme der Anzahl, Verschiedenartigkeit und Interdependenz von Wirkungsgrößen im Kontext von Unternehmungen hat zu einer Veränderungsintensität geführt, die immer mehr als „diskontinuierlich“ resp. „turbulent“ bezeichnet wird (vgl. Ansoff 1976; Rifkin 1989). Dies spiegelt sich beispielsweise wider in der zunehmenden Globalisierung und den hiermit einhergehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen wie die Entstehung neuer Formen der internationalen Zusammenarbeit (z.B. Netzwerke), neue Absatzmärkte (z.B. Südostasien), kürzere Produktlebenszeiten, veränderte Konsumgewohnheiten, die Entstehung neuer Technologiegenerationen sowie unterschiedliche Ausprägungen eines gesellschaftlichen Wandels (vgl. Ansoff 1976; Rifkin 1989).

In Zeiten steigender Komplexität und Dynamik haben sich die Erfolgsvoraussetzungen für Unternehmen drastisch gewandelt. Die heutigen „Spielregeln“ verlangen nach hinreichend hoher Flexibilität und Innovationsfähigkeit, um mit den sich ständig verändernden Bedingungen und Herausforderungen Schritt halten zu können. Dabei ist nicht nur die Erfassung, Verarbeitung und Mitgestaltung der dynamischen Umwelt von Bedeutung, sondern es ist notwendig, daß parallel zu der sich verändernden Umwelt auch ein Wandel der internen Organisation der Unternehmen erfolgt.

Die Erfahrung - insbesondere in der Bundesrepublik - zeigt aber, daß Unternehmen mit zunehmendem Alter, wachsender Größe und struktureller Komplexität in einer Art „Beharrungstendenz“ (organizational inertia) (vgl. Hamman/Freemann 1989) [1] darauf gerichtet sind, Bestehendes und Legitimiertes „effizient“ zu handhaben und damit primär den „status quo“ abzusichern (vgl. Kieser 1992, Sp. 1763; auch 4.2.1.1.2., 4.2.3.1. der Arbeit). Da sich i.d.R. die hiermit einhergehenden bürokratischen Mechanismen in einem reaktiv-defensiven Verhaltensmodus spiegeln, koppeln sich Unternehmen von der viel dynamischeren Umwelt ab und verlieren somit ihre Handlungsspielräume. Erst wenn die Problemlage sich derart zugespitzt hat, daß die Unternehmung in eine Krise bzw. Phase der Instabilität abzugleiten droht und damit die Bewältigung der internen Veränderungen sich nicht mehr mit einfachen Reorganisationsmaßnahmen [2] abfangen lassen, wird ein tiefgreifender Wandel bzw. werden massive Turn-around Maßnahmen innerhalb des Unternehmen dieses eventuell wieder auf Erfolgskurs führen (vgl. auch 4.2.1.1.2. und 4.3.2 der Arbeit).

Das betriebswirtschaftliche Wissenschaftsgebäude ist in seinem paradigmatischen Entstehungszusammenhang stark dem kartesianischen Weltbild [3] und dessen mechanistische Fortschrittsphilosophie verpflichtet. Damit konzentriert sich die betriebswirtschaftliche Theoriebildung auf statische Gleichgewichtsbedingungen und nimmt faktisch eine Analyseperspektive ein, die „sich fälschlicherweise auf rationale Transparenzannahmen und uniformistische Harmonievorstellungen stützt, von einer linearen Wachstums- und Machbarkeitsideologie ausgeht und damit - gesamthaft gesehen - auf Prämissen beruht, die für eine frühere Ära konzipiert wurden und im heutigen sowie zukünftig absehbaren Kontext immer weniger Gültigkeit besitzen.“ (Perich 1992, S. 4; vgl. auch Türck 1989). Dynamische Veränderungen stehen in der Organisations- und Managementforschung nicht im Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Schwaninger 1989, S. 36). Allerdings finden sich im Rahmen der Konzepte des Organisationalen Wandels Ansätze und Teiltheorien wie etwa „geplanter organisationaler Wandel“, „Organisationsentwicklung“, „Innovationsmanagement“, „Change Management“, „Chaos-Mana­gement“ oder „Organisationales Lernen“ mit recht inhomogenen und nicht zuletzt gegensätzlichen Aussagen über die Wandelprozesse von Unternehmen. Eine integrierende Theorie, die die unterschiedlichen Teilansätze sowie Partiallösungen zu einer umfassenden Theorie des organisationalen Wandels zusammenfaßt, fehlt bis heute (vgl. Perich 1992, S. 6; Klink 1996, S. 3; 4.3. der Arbeit).

Die Mehrzahl betriebswirtschaftlicher Vorstellungen über eine adäquate Bewältigung von Veränderungen bzw. über organisationalen Wandel halten weitgehend an herkömmlichen mechanistischen und vor allem linearen Vor­stellungen über die Durchführung von Veränderungen in Unter­nehmen fest (vgl. z.B. Rieter 1992, S. 84f.). [4] Eine ange­messene Darstellung betrieblicher Geschehen darf aber gerade nicht die bisher randomisierten und bagatellisierten Vorgänge in Unternehmen ausklammern. Es gilt gerade komplexe und nichtlineare Prozesse innerhalb der Unternehmen zu berücksichtigen: dazu gehören beispielsweise Aspekte der Motivation von Mitarbeitern, Formen des Widerstandes gegen Veränderungen, Probleme bei der Umsetzung von einmal getroffenen Entscheidungen, ablaufende Machtprozesse, plötzliche und zufällige Ereignisse wie das überraschende Ausschei­den von Mitarbeitern oder allgemein die Verselbstständigung vieler Prozesse.

Derartige interne Prozesse verändern sich nicht etwa voneinander losgelöst, sondern stehen in ei­nem komplexen nichtlinearen Zusammenhang. Dieser zeichnet sich dadurch aus, daß er nicht mit herkömmlichen teildisziplinären Erklärungsversuchen, die allenfalls Partialanalysen sind, dargestellt werden kann, indem etwa die unterschiedlichen funktionalen betriebswirtschaftlichen Ansätze wie Personalwirtschaft, Produktionswirtschaft, Controlling etc. zum Einsatz kommen. Eine angemessene Betrachtung nimmt sich gerade der vielschichtigen Zusammen­hänge der unter­schiedlichsten betrieblichen Bereiche an und versucht, die aus dem traditionellen Blickwinkel „zerstückelten Prozesse“ wieder in ihren Zusam­menhängen zu sehen, und zwar aus einer ganzheitlichen Perspektive heraus. Ganzheitlichkeit wird nicht mit einfacher Aggregation von betrieblichen Teilleistungen verbunden, sondern Ganzheiten weisen Eigentümlichkei­ten auf, die sich völlig von nur aggregierten Sachverhalten unterscheiden.

Der wissenschaftliche Ansatz der Systemtheorie stellt nun gerade darauf ab, mittels des theoretischen Konstruktes „System“ die Vernetzung, Komplexität und Dynamik von Ganzheiten abzubilden. Systeme werden dabei in Abhängigkeit der Problem- und Fragestellung modelliert. Der systemtheoretische Ansatz stellt ein „Werkzeug“ (Ropohl 1979, S. 90) bereit, das hilft, Realität zu strukturieren und zu verarbeiten: er ist sozusagen eine sprachliche Methode zur Er­fassung von auf bestimmte Weise gesehenen Sachverhalten (vgl. Lenk 1984, S. 169).

Über die Formulierung einer „Allgemeinen Systemtheorie“ wird von der jeweiligen materiellen Beschaffenheit einzelner Systeme weitgehend abstrahiert, um Ähnlichkeiten in den Strukturen aus­machen zu können (vgl. Kulla 1979, S. 17; Management Enzyklpopädie 1984, S. 982; Staehle 1990, S. 40). Allerdings münden die erhaltenen universellen Formulierungen letztlich in wenig operationale Aussagen mit einem geringem Informationsgehalt (vgl. Staehle 1990, S. 40). Die All­gemeine Systemtheorie hat demzufolge mit Problemen wie „hohe Abstraktion der Aussagen, Reduktion der Vielfalt auf universell nachweisbare Kategorien und Formulierung wenig operationaler Aussagen mit geringem Informationsgehalt für alle Arten von Systemen" (Staehle 1990, S. 40) zu kämp­fen.

Die Allgemeine Systemtheorie wurde in den 60er Jahren durch formalisierte naturwissenschaftliche Selbstorganisationstheorien erweitert und mündete in unterschiedlichen Vorstellungen über eine „Selbstorganisations-Systemtheorie“ (vgl. Druwe 1990, S. 767). Unter dem Sammelbegriff „Selbstorganisation“ etabliert sich derzeit ein großangelegtes, viele Wissen­schaftsdisziplinen umfassendes Forschungsgebiet (vgl. Paslack 1991, S. 1). Bereits die begriffliche Festlegung der Selbstorganisation fällt wegen der großen semantischen Varianz schwer. Der gegenwärtige Stand selbstorganisatorischer Forschung findet einen gewissen Fluchtpunkt in der Suche nach gemeinsamen Prinzipien, Regeln, Prozessen, Abläufen, Gesetzmäßigkeiten, Schemata, Modellen u.a.m., die der Ordnungsentstehung in allen selbstorganisatorischen Systemen zugrundeliegen und dementsprechend das Meta-Konzept Selbstorganisation konstituieren. [5] Allerdings sind diese Forschungsprozesse keineswegs abgeschlossen und die selbstorganisatorische Meinungslandschaft ist durch Heterogenität, Vagheit und Vielfalt gekennzeichnet. Mit Paslack läßt sich allerdings zusammenfassen, daß sich der zentrale Fokus der Selbstorganisationsforschung in der Untersuchung der spontanen Entstehung, Höherentwicklung und Ausdifferenzierung von Ordnung im System findet (vgl. Paslack 1991, S. 1).

Aus Gründen der Konsistenz ist die Anwendung der Selbstorganisation auch auf die menschliche Kognition notwendig. Dies führt zu weitreichenden, in der Konsequenz noch nicht absehbaren Veränderungen. [6]

Bisherige Ausführungen gingen davon aus, daß die Welt sich dem Menschen als eine vom Menschen unabhängige objektive Größe darstellt, der der Mensch als Subjekt gegenübersteht. Der Mensch bildet sich über seine Sinne bzw. Wahrnehmungen ein mehr oder weniger isomorphes Abbild der Außenwelt und versucht diese deskriptiv in Sprache umzusetzen (vgl. S.J. Schmidt 1987b, S. 42).

Die Anwendung selbstorganisatorischen Denkens auf die menschliche Kognition (vgl. insbesondere Roth 1980, ferner Maturana 1982a, 1982c, 1982d und 1987a; Foerster, 1985a sowie Maturana/Varela 1987) [7] führte zur Entwicklung einer spezifischen selbstorganisatorischen Epistemologie: es entstand der Radikale Konstruktivismus. [8] Die relativistische Ausprägung dieser Epistemologie weist dabei im folgenden aufzuarbeitende, für den Handlungskontext betriebswirtschaftlicher Praxis wie Forschung sehr unbequeme Konsequenzen auf (vgl. 3.2. der Arbeit). [9]

In der Betriebswirtschaftslehre - ebenso wie im Bereich des Meta-Konzeptes - kann nicht von einer kompakten, geschlossenen und unproblematisch anwendbaren „Theorie der Selbstorganisa­tion“ ausgegangen werden. Selbstorganisatorische Inhalte befinden sich gegenwärtig vielmehr in einem Stadium der Entwicklung, in dem sich zwar erste Konturen einer neuen Theorie abzeichnen, es aber noch zu keiner konsistenten Allgemeinen Selbstorganisationstheorie kommen konnte (vgl. 2.2.1. der Arbeit). [10]

Eine immer wieder in der Literatur zu findende betriebswirtschaftliche Position präzisiert den Begriff der Selbstorganisation in der Gegenüberstellung von Fremd- und Selbstorganisation. Über eine trivialisierende Darstellung wird unter Selbstorganisation alles verstanden, was sich der bewußten Gestaltung durch das Management entzieht (vgl. Knyphausen 1991b, S. 57ff.; allgemein auch: An der Heiden 1992, S. 73f.). Diese überwiegend in der Literatur zu findende Dichotomisierung des Denkens in Fremdorganisation durch das Management einerseits, und Selbstorganisation durch die Mitarbeiter andererseits, stellt (aus der Perspektive der Synergetik) eine Mißkonstruktion dar (vgl. z.B. Strohmeier 1995, S. 227f.; genauer in 4.3. der Arbeit). [11] Komplexe und nichtlineare Systeme sind gerade analytisch nicht durchdringbar [12] bzw. lassen sich in ihrer Komplexität nicht auf einfache mechanistische bzw. triviale Systeme reduzieren [13] : d.h. auf der Ebene des Gesamtsystems sind i.d.R. keine linearen, analytisch festlegbaren Zusammenhänge zwischen einzelnen Management­handlungen und der „emergierenden“ [14] Gesamtordnung zu erkennen (vgl. Brunner/Tschacher 1991, S. 64ff.; auch Dachler 1985). [15] Wird dennoch versucht, Zusammenhänge zu erkennen, so besteht die Gefahr durch zu weitreichende Trivialisierung und Reduktion zu falschen Ergebnissen zu kommen (vgl. Foerster 1990, S. 87; 4.4. der Arbeit). Damit kompliziert sich die Situation für ein Management in selbstor­ganisatorischen Systemen aber erheblich, denn die notwendigen Kausalitäten sind damit letztlich eben nicht feststellbar. Dennoch bleiben Managementhandlungen auch in komplexen und dynamischen selbstorganisatorischen Systemen wirksam (vgl. dazu 4.4. der Arbeit) [16] . Selbstorganisation fordert daher in nachhaltiger Weise eine deutlich bescheidenere, vorsichtigere und respektvollere Grundeinstellung des Managements gegenüber den selbstorganisatorischen Systemen ein (vgl. Probst 1987, S. 113ff.; Strohmeier 1995, S. 233; ausführlich 4.4. und 5.4. der Arbeit).

Selbstorganisatorisches Denken kann auch im betriebswirtschaftlichen Bereich als ein neues Paradigma gelten, das, verglichen mit dem traditionellen rational-voluntaristischen Paradigma [17] , durchaus einen radikalen Wechsel der Perspektive vornimmt. Bisher kaum vollständig abschätz­bare Probleme ergeben sich für die Betriebswirtschaftslehre mit den relativistischen und damit ausgesprochen unbequemen epistemologischen Konsequenzen selbstorganisatorischen Denkens (vgl. S.J. Schmidt 1994b, S. 53ff.; Strohmeier 1995, S. 225f.; 3.2. der Arbeit).

In den meisten sozialwissenschaftlichen Arbeiten, wie auch in der Betriebswirtschaftslehre, dominiert die Selbstorganisationstheorie der Autopoiese [18] (für viele Häfele 1990; Dondl 1992; Kirsch 1992; Kirsch/Knyphausen 1991; vgl. 2.1.5.2. der Arbeit). Abweichend von diesen Publikationen wird hier der Theoriekern einer Allgemeinen Selbstorganisationstheorie in der Synergetik, die auf H. Haken (1984, 1988, 1995) zurückgeht, gesehen. Die Synergetik, die als einzige Selbstorganisationstheorie in sich ab­ge­schlossen ist und mathematisch formuliert werden kann, beschäftigt sich mit der Entstehung, Veränderung und Aufrechterhaltung von Ordnungen in komplexen und nichtlinearen Systemen (vgl. Beisel 1996, S. 7). Die Synergetik ist ihrem Charakter nach eine Metatheorie von nichtlinearen und komplexen Vorgängen, die eine Darstellung von Prozeßverläufen erlaubt.

In den 90er Jahren findet die Theorie der Synergetik (neben der Autopoiese) immer mehr Einzug in die Wirtschaftswissenschaft. [19] Mehrere Autoren versuchen eine Anwendung unterschiedlicher selbstorganisatorisch-synergetischer Erkenntnisse auf spezifische wirtschaftswissenschaftliche Problemfelder, zum Teil auch auf betriebswirtschaftliche Detailprobleme. So sind etwa synergetisch fundierte Publikationen von Erdmann (1990, 1991), Koblo (1991), Zhang (1991), Haag (1990), Weidlich (1991a, 1991b, 1992), Woeckner (1992), Ehret (1994), Füser (1994), Hellbrück (1993), Weise/Brandes/Eger (1993) und Beisel (1996) zu nennen. Füser (1994) untersucht z.B. die Prognosequalität eines synergetischen Kapitalmarktmodells. Beisel (1996) zieht die Synergetik für eine allgemeine Theorie der Unternehmensentwicklung heran. Sie hat mit ihrem Werk eine erste Brücke zwischen der Synergetik und der Organisationsentwicklung am Beispiel der qualitativen Analyse eines großen deutschen Automobilkonzernes geschlagen und konnte die prinzipielle Vereinbarkeit dieser zwei Konzepte deutlich machen. Allerdings geht Beisel sehr unkritisch die Übertragung einer formalwissenschaftlich vorliegenden Theorie der Selbstorganisation (Synergetik) auf betriebswirtschaftliche Probleme an. Ebenso werden zentrale Aspekte der Synergetik nicht erkannt, wie etwa die klassische Miß-„Konstruktion“ von Fremd- und Selbstorganisation. Dennoch zeigt die Arbeit von Beisel gerade aufgrund der durchgeführten Fallstudie eine Viel­zahl von Verbindungsmöglichkeiten zwischen der Organisationsentwicklung und der Synergetik auf (vgl. Beisel 1996).

In dieser Arbeit wird der erste Ansatz von Beisel, eine Verbindung der allgemeinen Theorie der Selbstorganisation (Synergetik) mit dem konkreten betriebswirtschaftlichen Wissen über Veränderungen von Organisationen zu leisten, aufgegriffen. Dabei versucht die Arbeit eine allgemeine Theorie der Veränderung zu entwerfen, die einen neuen Blickwinkel auf die Prozesse der Veränderung von Unternehmen gestatten. Dabei verbleibt die Darstellung aufgrund des methatheoretischen Charakters der Selbstorganisation auf einem hohen Abstraktionsniveau. 

Eine Anwendung des formulierten synergetisch-organisationalen Wandels auf die ökologische Orientierung von Unternehmen stellt den Versuch dar, die monierte Distanz selbstorganisatorischen Denkens zu spezifischen Problemen der jeweiligen Disziplin zu verringern (vgl. Joszok 1989, S. 22), und das Problem des „Herunterbrechens“ abstrakter Ausführung auf die Ebene von Einzelproblemen exemplarisch anzugehen.

Bei Durchsicht der vielfältigen ökologisch orientierten betriebswirtschaftlichen Literatur ist nicht nur zu beobachten, daß die meisten Publikationen sich innerhalb einer kartesianischen Vorstellung bewegen, sondern darüber hinaus ist festzustellen, daß in der ökologischen Diskussion weitgehend dynamische Betrachtungen, die ökologische Unternehmensführung als ein Prozeß verstehen, fehlen (vgl. 5.2.3. der Arbeit). Denn die Einbeziehung von ökologischen Aspekten geschieht nicht plötzlich, sondern vollzieht sich innerhalb einer längeren Zeitpe­riode. Generell läßt sich für die Mehrzahl der Autoren festhalten, daß dem Prozeß der Veränderung sowie den Implementierungsversuchen nur sehr geringe Aufmerksamkeit gewidmet wird. [20] Aber gerade hier sollte - angestoßen durch die vielfältigen praktischen Umsetzungsprobleme - reflektiert werden, daß ein Unternehmen, das zum Zeitpunkt t0 sich bisher noch nicht bzw. nur sehr bedingt mit den ökologischen Fragestellungen beschäftigt hat, nicht einfach problemlos in den Zeitpunkt t1, in dem sich das Unternehmen nach den jeweiligen ökologischen Ansätzen in idealisierter Weise ökologisch orientiert, überführt werden kann.

Die verkürzte Sichtweise einer komparativen Statik, die gerade den Prozeß der Veränderung außer acht läßt, ist nur vor dem Hintergrund einer reduktionistisch-mechanistischen Vorstellung [21] nachzuvollziehen. Eine angemessenere Darstellung ergibt sich erst, wenn aus der Perspektive nichtlinearer Prozesse im Unternehmen erkannt wird, daß eine Realisierung von Geplantem nicht einfach über Kausalketten, sondern über Selbstorganisationsprozesse modelliert werden kann. Daß heißt, erst über eine angemessene Theorie des Wandels von nichtlinearen und komplexen Systemen können die Veränderungen erfaßt werden. [22]

Der synergetische Ansatz des organisationalen Wandels stellt Veränderungsprozesse für nichtlineare und komplexe Prozesse dar. Da in der Darstellung des synergetischen Wandels nicht das WAS, also die Objekte des Wandels, im Mittelpunkt stehen, sondern die Prozesse, d.h. das WIE des Wandels betrachtet wird (vgl. Beisel 1994, S. 6) kann er für die Erklärung von Veränderungen der unterschiedlichsten nichtlinearen Systeme herangezogen werden.

Zurück



[1]      Grundlage des Konzeptes des strukturellen Beharrungsvermögens sind noch immer die Ausführungen von Hannan/Freeman zum „inertia“ (1977, 1989); zusammenfassend Kieser 1992, Sp. 1763.

[2]      Unter „Reorganisationsmaßnahmen“ werden in Abgrenzung zu Prozessen der „Transformation“ diejenigen Formen des organisationalen Wandels verstanden, die mehr oder weniger geplant verlaufen, ein geringes Ausmaß der Veränderung aufweisen und sich innerhalb der bestehenden Organisationsstruktur bewegen. In der idealtypischen Gegenüberstellung wird bei einem tiefgreifenden, vom Ergebnis her offenen Prozeß von „Transformation“ gesprochen (vgl. Staehle 1990, S. 547f.).

[3]      Das Bestreben, die Welt zu objektivieren und zu quantifizieren, führte den Philosophen und Mathematiker R. Descartes zu dem kartesischen Koordinatensystem. Descartes Koordinatengitter hat sich inzwischen als eines der leistungsfähigsten Instrumente in der Wissenschaft erwiesen: Mit diesem Instrument können Dinge zueinander in Beziehung gesetzt werden, zwischen denen zuvor keine Verbindung zu erkennen war. Dank der Fähigkeit, alle Veränderungen innerhalb dieses Systems auf mathematische Operationen zurückzuführen, gelangten die Wissenschaftler der Neuzeit zu der Überzeugung, daß alles, was existiert, auch berechenbar und damit kontrollierbar sei (vgl. Peat 1994, S. 30ff.; Sheldrake 1993, S. 61f.).

[4]      Gerade in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur findet sich häufig die Ansicht, die Wirtschaftswissenschaft sei eine eigenständige und autonome Wissenschaft. Den Autoren ist nicht bewußt, daß die Wirtschaftswissenschaft vielfach durch naturwissenschaftliche Leitbilder geprägt ist (vgl. Rieter 1992, S. 84).

[5]      Während sich eine Vielzahl von Autoren zum Selbstorganisationsparadigma bekennt (vgl. z.B. die Autoren im 1988 erschienen Jahrbuch für Komplexität in der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaft), finden sich daneben aber auch skeptische Meinungen bezüglich Existenz und Charakter selbstorganisatorischer Phänomene (vgl. z.B. Laszlo 1986, S. 45; Knyphausen 1991b, S. 55; Riedl 1984, S. 49f.).

[6]      Wenn es bereits auf dem Bereich der formalwissenschaftlichen Ebene wie auch der Urkonzepte der Selbstorganisationstheorien zu spezifischen epistemologischen Konsequenzen kommt, dann muß jede Anwendung selbstorganisatorischen Denkens in der Betriebswirtschaft konsequenterweise auch diese epistemologische Dimension mit einschließen (vgl. Probst 1987a, S. 42ff.). Zumindest dürfte es schwerfallen zu begründen, wieso einerseits selbstorganisatorische Konsequenzen im Bereich sozialer Systeme akzeptiert, im Bereich kognitiver Systeme jedoch abgelehnt werden (vgl. Strohmeier 1995, S. 214).

[7]      Ein synergetischer Ansatz menschlicher Kognition findet sich bei Tschacher 1990.

[8]      Vgl. zum Radikalen Konstruktivismus grundsätzlich den Sammelband zur biologischen Epistemologie von Maturana 1982b, ferner Foerster 1985b, Glasersfeld 1987b, Schmidt 1987a sowie Maturana/Valera 1987.

[9]      Wird der Radikalen Konstruktivismus als Epistemologie akzeptiert, ergeben sich deutliche Veränderungen und Depotenzierungen für die grundsätzlichen Möglichkeiten und den Charakter von Wissenschaft. Dabei gilt grundsätzlich, daß alles Erkennen, auch das wissenschaftliche, ein Akt des subjektiven Konstruierens darstellt. Dies reduziert Wissenschaft aber noch nicht auf eine reine „Nützlichkeit für die menschliche Gemeinschaft“ (vgl. S.J. Schmidt 1994b, S. 34ff.). In 3.2. der Arbeit wird hierauf genauer eingegangen.

[10]     Allerdings zeigen Autoren wie Krohn, Küppers, Paslack, Knost und Probst verschiedene Entwicklungspha­sen des Konzeptes der modernen Selbstorganisationstheorie auf, die darauf hinweisen, daß von einem gemeinsamen Theoriekern gesprochen werden kann (vgl. Krohn/Küppers/Paslack 1987, S. 446ff.; Paslack/ Knost 1990, S. 11ff.; Probst 1987a, S. 16ff; 2.2.1. der Arbeit). So weist Strohmeier darauf hin, daß trotz unterschiedlicher gegenstandsspezifischer Varianten sich ein wissenschaftlicher Konsens herausgebildet hat, daß es sich um ein gemeinsames Forschungsparadigma, also übergreifende epistemologische Zusammen­hänge, handelt (vgl. Strohmeier 1995, S. 188f.; ferner auch Krohn 1992, S. 176f.; 2.2.1. der Arbeit).

[11]     Vgl. z.B.: Ben-Eli/Probst 1986, S. 280f., Probst 1987, S. 68. Anders aber noch Probst und Scheuss, die Organisation und Selbstorganisation als zwei „fundamental unterschiedliche Prozesse“ auffassen (vgl. Probst/Scheuss 1984, S. 482). Desgleichen Knyphausen, der entsprechend auf die Komplementarität von Führung und Selbstorganisation abhebt (vgl. Knyphausen 1991 b, S. 57ff.).

[12]     Diese Darstellung geht auf die Unterscheidung von Foerster in triviale und nicht-triviale Systeme zurück (vgl. Foerster 1984, S. 10ff.; ferner Probst 1987, S. 77; Neuberger 1990, S. 232f.).

[13]     Vgl. für viele Foerster 1984, S. 11f.; Malik 1985, S. 209; Probst 1987, S. 29, 77ff.; Krohn/Küppers 1990, S. 114; Knyphausen 1991, S. 57; Kirsch 1992, S. 273ff.

[14]     Emergenz bedeutet Auftauchen, Zum-Vorschein-Kommen (lateinisch: emergere) einer neuen, wesentliche kennzeichnenden Eigenschaft eines Systems. Diese Eigenschaft entsteht im Zeitverlauf der Änderung eines Systems. Der Nachzustand ist nicht auf den Vorzustand reduzierbar. In einer modernen Version spricht man von Emergenz, wenn durch mikroskopische Wechselwirkung auf einer makroskopischen Ebene einer neue Qualität entsteht, die nicht aus den Eigenschaften der Komponenten herleitbar (kausal erklärbar, formal ableitbar) ist, die aber dennoch allein in der Wechselwirkung der Komponenten besteht (vgl. Lorenz 1993, S. 47-50; Küppers/Krohn 1992, S. 161ff.).

[15]     Ein Charakteristikum selbstorganisatorischer Theorien ist die Formulierung der Beziehung von Handlungen auf der Mikroebene und den hieraus resultierenden Wirkungen auf der Makroebene. Nach der voluntaristischen Vorstellung wird das Management durch seine Eingriffe letztlich die Makroebene, wie z.B. die Organisationsstruktur und -kultur, unmittelbar gestalten. Die Selbstorganisation rückt gerade von dieser Position ab, indem sie die Beziehung zwischen Mikro- und Makroebene in ihrem Charakter als komplex und nichtlinear identifiziert. Die „emergierende“ Gesamtordnung ist nicht auf einzelne Handlungen zurückzuführen, sondern ein Ergebnis des jeweiligen betrachteten gesamten Systems (vgl. ausführlicher 3.4.1.3. und 3.4.1.4. der Arbeit).

[16]     Das Erreichen einer vom Management intendierten Ordnung ist dem Grundsatz nach durchaus möglich, wenn auch allerdings nur in spezifischen Konstellationen und dann auch nur als ein begrenzt wahrscheinlich auftretendes Ereignis (vgl. dazu ausführlich die Darstellungen in 3.4.4., 4.3.3. und 5.3.3. der Arbeit).

[17]     Eine voluntaristische Sichtweise führt organisationales Verhalten auf den Willen und die Vorstellungen der Manager zurück. Individuen und die von ihnen geschaffenen Organisationen sind autonom, kreativ und selbstgesteuert. Einzelne Führungskräfte dominieren über die Wandelprozesse die Organisation, indem sie über Visionen, Interessen, Signale, Entscheidungen und Handlungen das Verhalten der Organisation prägen. Im Extremfall erscheint die Organisation bloß noch als verlängerter Arm des Managements (vgl. D.E. Schulz 1992, S. 64ff.).

[18]     Die Theorie der Autopoiese (griech. autos = selbst; poiein = machen) wurde 1972 von Maturana eingeführt und kann allgemein als eine Theorie der lebendigen Organisation beschrieben werden (vgl. Knyphausen 1988, S. 224f.; Kirsch 1992, S. 78; Maturana/Varela 1987, S. 50f; 54f.; Hejl 1983).

[19]     Gerade ab 1990 finden sich verstärkt ökonomische Theorien, die auf einer nichtlinearen Dynamik - und hiermit verstärkt synergetischen Vorstellungen - aufbauen. Hier sind insbesondere volkswirtschaftliche Arbeiten, die unter dem Schlagwort der Evolutorischen Ökonomik erschienen sind, zu nennen: z.B. Lorenz (1990, 1992, 1993), Kerber (1990), Witt (1992), Dopfer (1990, 1992), Mohr (1990), Pasche (1994), Schmidtchen (1990), Schnabl (1990) etc.

[20]     Nur vereinzelnd finden sich Bezüge zu einer dynamischen Perspektive. So z.B. bei Stitzel/Simonis 1988, S. 17ff.; Klink 1996; Dyllick/Belz 1994, S. 11f.; Grothe-Senf 1994, S. 13; Sabine Harde 1994, S. 4-8; Meffert/Kirchgeorg 1992, S. 274; Günther 1992, S. 136f.; Hallay 1996; Pfriem 1996, ausführlich 5.2.4. der Arbeit.

[21]     Foerster (1984) beschreibt die mechanistische Sichtweise, die in der klassischen Vorstellung der Betriebswirtschaft lange dominierte, als eine triviale Maschine, in der ein einmal verwendeter Input X nach Durchlaufen der Funktion f zu einem gewünschten Output Y führt. Dem stellt er das Modell der nichttrivialen Maschine gegenüber, in der auf eine bestimmte Eingabe die Antwort eben nicht vorhergesagt werden kann, da ein interner Zustand z die Input-Output Beziehungen mitbestimmt (vgl. Foerster 1984, S. 2-24).

[22]     Geplante und nichtgeplante Veränderungen sind im einem nichtlinearen System letztlich unter dem Gesichtspunkt der synergetisch ablaufenden Prozesse untrennbar miteinander verbunden. Gerade ein von den Akteuren angestrebter Soll-Zustand kann über die Setzung von Zielen nur bedingt realisiert werden. Vielmehr wird sich aufgrund der nichtlinearen Dynamik sozialer Ordnungen ein anderer Zustand einstellen als der, den die Akteure anstrebten (vgl. dazu 3.5.2., 4.4.1. und 5.4.1.1. der Arbeit).


Kontakt: n_niemeier@web.de letzte Änderung: 30.09.2001